Kapitel 12: Einen guten Rutsch ins neue ... Weihnachtsfest
Die weihnachtliche Zeit begann in unserem Hause wie jedes Jahr mit
dem Schmücken des Weihnachtsbaumes. Oder sollte man dieses Jahr
besser sagen: dem Schützen des Weihnachtsbaumes. Es ist nämlich
seit der Geburt unserer Kinder so, dass eine Vielzahl von
unschuldigen Zimmerpflanzen heimtückischen Anschlägen
minderjähriger Hausbewohner zum Opfer gefallen sind. Der ganze
botanische Stolz unseres Hauses, unser mannsgroßer ficus
benjamini, unter schweren körperlichen Anstrengungen und in
nächtlicher Autofahrt bei geöffnetem Dachfenster
heimgebracht, entging mehrfach knapp Attacken der Zwillinge, obschon
sie diese aus ihrem Laufstall heraus verübten. Bis wir heraus
fanden, dass es sicherer ist, den Benjamini in diesen Laufstall
zu stellen; seitdem gedeiht er zwar hinter Gittern, aber
prächtig.
Also galt es auch bei unserem Baum, weniger die
Kinder vor umfallenden Edeltannen zu schützen, sondern vielmehr
noch am zweiten Weihnachtstag im Besitz eines Gewächses zu sein,
den man durch vorhandene Nadeln, Kugeln und Beleuchtung als
Weihnachtsbaum erkennen konnte. Die exklusiven
Käthe-Wohlfahrt-Weihnachtskugeln wurden durch
Versandhausplastiken ersetzt, der weitere Behang durch Sterne, Engel
und Tannenzapfen aus Stroh, und die gute Lichterkette durch eine
kleine mit lustigen Figuren, aufgehängt in kindersicherer Höhe.
Letzteres waren wir der festen Überzeugung, doch dauerte es
keinen Tag, als die freudestrahlende Michelle mit einer abgetrennten
Lichter-Figur ankam, so dass die Kindersicherheit eine Astreihe
höher deklariert wurde. Wir hatten es auch eilig mit dem
traditionellen Foto der Familie vor dem Weihnachtsbaum, worin uns die
wenige Tage später entwickelten Bilder Recht gaben, auf denen am
Baum noch doppelt so viel Strohsterne prangten wie zum aktuellen
Zeitpunkt.
Nachdem also der Schutzschmuck angelegt war, war es
Zeit für die Kirche. Wieder daheim, sollte der Abend mit
weihnachtlicher Musik beginnen. Ich legte die CD ein, startete die
Wiedergabe und... erlitt fast einen Herzinfarkt. Sicher, es war das
richtige Stück, was da erklang, doch Gloria in Excelsis Deo
in einem geschlossenen Raum bei neunzig Dezibel zu hören, tötet
jede weihnachtliche Stimmung. Der nicolausische Übeltäter,
der ausprobiert hatte, wie weit sich der Lautstärkeregler nach
rechts drehen lässt, bezahlte seine Tat jedoch mit dem
gleichen Schreck wie alle anderen.
Bei gedämpfter Tafelmusik
vollzog sich dann die Bescherung. Alle Geschenke kamen gut an, doch
wie immer gab es für jeden eines, das alle anderen vergessen
ließ.
Für Michelle war es zunächst der hölzerne
Puppenwagen. Einen Puppenwagen aus massivem Holz, so hatte mich die
Frau meines Cousins vorher gefragt, willst Du um Deiner hellen Türen
willen nicht besser unseren aus geflochtener Weide haben? Sie sollte
mit ihren Warnungen Recht behalten, denn in der Tat ließen die
ersten Fahrversuche unserer kleinen Promenierdame mit ihrem neuen
Gefährt das Schlimmste befürchten. Wie der von der
abendlichen Zechtour heimkehrende Betrunkene Spuren seines
Hausschlüssels an der hölzernen Eingangstür
hinterlässt, so gab es bald dieselben Beweise mangelnder
Koordination an unseren Türrahmen. Mit meinem Schwager
diskutierten wir mögliche bauliche Verbesserungen am
Puppengefährt wie Schaumstoffummantelung oder Airbags, doch alle
scheiterten an der designlichen Verschlechterung des Geschenkes.
Rettung nahte in Gestalt des letzten Geschenkes, dem sich nun alle
Kinder zuwandten.
Nicolas hatte diesen Hauptgewinn gezogen. Er
hatte es kurz zuvor im Versteck im Arbeitszimmer entdeckt und
bestiegen, da es zu groß zum Verpacken war. Es war eine bunte
Plastikrutsche. Beim Zusammenbauen hatte ich die Stirn gerunzelt über
die Altersfreigabe ab drei Jahre, da unsere Kleinsten erst halb so alt
waren. Doch Vorreiterin Michelle strafte die Verpackung schnell Lügen
und rutschte nur wenige Minuten später perfekt nach unten. Zur
Vorsicht legte ich den Boden mit dicken Krabbeldecken aus. Nachdem
Christopher das Gerät getestet hatte, traute sich auch der
eigentlich Beschenkte. Nicolas überraschte alle mit einer
besonderen Kür: bäuchlings mit dem Kopf voran. (Wir legten
vorsichtshalber die Telefonnummern des ärztlichen Notdienstes
bereit.) Nun waren allen Schwierigkeitsgraden Tür und Tor
geöffnet, freihändiges Stehen auf der obersten Stufe und
seitwärts Rutschen waren die Höhepunkte, so dass ich
der Altersfreigabe wieder Glauben schenkte.
Jede Geschichte hat
ein Happyend, so auch diese: wenn die Kinder endlich im Bett sind.
Welche Weihnachtsgeschenke uns Erwachsenen am meisten Spaß
gemacht haben und wer am häufigsten von der Rutsche gefallen
ist, nun, das weiß allein das Christkind. (07.01.2001)
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