Kapitel 9: Christopher und die
Neuankömmlinge
Seit
Juli 1999 ist alles anders. Durch die Räume unseres Hauses
schwebt das typische Pampersfüllung-Aroma, und abendliches
Hundegebell wird locker durch das Hunger-Duett aus den
Zwillingskehlen übertönt, gelegentlich unterbrochen durch
ein Bäuerchen, das die Wände erbeben lässt.
Störungsfreien Schlaf gibt es für die Dauer eines
Fußballspiels (aber ohne Verlängerung), und Zeit fürs
eigene Essen hat man in Frühstücksei-Länge. Doch nicht
nur für Claudia und mich hat sich durch die Geburt alles
verändert, sondern auch für unseren Christopher.
Es
fängt schon damit an, daß wir diesen Dreikäsehoch
nicht mehr unseren Kleinen nennen können, vielmehr
ist er mit seinen zwei Jahren über Nacht zu unserem Großen
mutiert. Erstaunlicherweise zeitgleich nennt sich unser Ältester
nun nicht mehr selbst Gicky, vielmehr heißt er
jetzt Kistoffa. (Schade eigentlich, wir hatten uns an
dieses süße Gicky gewöhnt und ihn in
letzter Zeit auch oft so gerufen.) Diese Erweiterung seines
Wortschatzes war allerdings auch nur logisch, weil er bereits vor
deren Geburt die Namen der Zwillinge aussprechen konnte. Anfänglich
hatte er sie noch als Mischauto und Nino
(Name des Hundes meiner Eltern) bezeichnet, bevor daraus dann
Michelle und Nicolas (mitunter auch
Nikolaus) wurde. Da er ohnehin ein kleines Plappermaul
geworden war, brach uns regelmäßig der Angstschweiß
aus, als er vor der Geburt auf die Zwillinge angesprochen wurde, denn
die Namen sollten bis zur Geburt geheim bleiben. Sie blieben es auch,
denn bis auf einmal Mischauto rutschte ihm bei diesen
Fangfragen nichts heraus.
Apropos Erweiterung des Wortschatzes:
Wer wagt es zu behaupten, dass man mit zwei Jahren noch nicht weiß,
was eine Dilleinlage (Stilleinlage) ist? Das Gesicht lässt
sich wunderbar mit Lippendift (Lippenstift) eincremen,
und für was an die Wand zu schrauben braucht man eine Bohrdine
(Bohrmaschine). Besonders schön sind jedoch die vielen neuen
Balatetten (Tabletten) im Haus, auch wenn die Eltern sie
noch so hoch weglegen. Der Brüller schlechthin ist jedoch das
Auto meines Schwagers, der in Bomm (Bonn) wohnt und einen
Audi A Dei fährt.
Doch zurück zum Thema. Das
Heimkommen Claudias mit den Zwillingen verlief ziemlich friedlich.
Michelle und Nicolas schlummerten vor sich hin, und Christopher
bewies sogleich, das er die zwei unterscheiden konnte (das
Nicolas - das Michelle - haha), wenngleich Michelle nur knapp
einem ersten Anschlag ihres großen Bruders entging, der einen
Massage-Igel in die Luft warf und dabei ihr Köpfchen touchierte.
Ansonsten akzeptierte er zunächst die Rolle des großen
Bruders, nahm einen Zwilling auch mal auf den Arm und gab ihm das
Fläschchen. Doch kaum fing das Geschwisterchen an zu schreien,
bekam er diesen
ich-lass-den-jetzt-wie-eine-heiße-Kartoffel-fallen-Blick
und meinte lapidar: Papa, Arm holen, und flugs war er das
Schreihälschen los.
Mittlerweile merkt Christopher schon, dass
da Konkurrenz für ihn entstanden ist. Sein Aufbegehren hält
sich noch in erträglichen Grenzen. Mal sagt er zu Nicolas
Runtergehen!, wenn ich ihn auf dem Arm habe. Des Weiteren
ist die Lautstärke seines Gehens in Gegenwart der schlafenden
Zwillinge nur unzureichend mit ohrenbetäubend zu umschreiben.
Ständig möchte er auf den Arm genommen werden oder muss
Papa mit ihm zum Sandkasten rausgehn, gerade beim Füttern
der Kleinen. Soweit wie bei einer Kollegin sind wir Gottlob noch
nicht, deren 2-jährige die Stillzeiten ihres Neugeborenen
ausnutzte, um den neuen Esszimmerstühlen einen innovativen
Filzstiftanstrich zu verpassen, aber man sollte den Tag nicht vor dem
Abend loben und auf keinen Fall Schadenfreude zeigen. Der Schuss
kann schon mal nach hinten losgehen, wie gestern, als Claudia
Michelle nach dem Stillen über die Schulter zum Bäuerchen
legte und als Dank - nun, nennen wir es - bespuckt wurde. Noch
während ich darüber lachte, verzierte Nicolas, den ich über
die Schulter gelegt hatte, mein neues Hemd mit der doppelten
Menge.
Habt also Mitleid mit dem Verfasser dieser Zeilen, und wenn
ihr dessen durchnächtigte Gestalt in nächster Zeit mal
seht, fangt besser nicht zu lästern an, denn Zwillinge bekommt
man schneller als man denkt. (04.08.1999)
Copyright by Frank Schmitt