Kapitel 8: Sprechproben
Zu
den schönsten Momenten eines Vaters gehört es, wenn sein
Kind ihn zum ersten Mal Papa ruft. Vor ein paar Monaten
noch lag der Erstgeborene in der Wiege und gab nichts anderes von
sich als kräftige Schreie (und auf dem Arm ab und zu ein
Bäuerchen), und nun kann er sich erstmals ausdrücken und
Worte von sich geben (und es dauert nicht lange und man wünscht
sich, das kleine Plappermaul könnte besser noch nicht sprechen,
und man seine Ruhe haben).
Gleich nach Mama und Papa
konnte sich unser Kleiner auch schon selbst benennen. Nun,
Christopher ist leider ein langer und komplizierter Name, und so
einigte er sich darauf, sich selbst als Gicky zu
bezeichnen. Und da das Schmitt auch ein paar zungenbrecherische
Konsonanten hat, beschränkte sich seine komplette namentliche
Vorstellung auf ein Gicky 'mi'.
Dann kam das weitere
Umfeld an die Reihe. Kurz nach Oma und Opa
folgte das faszinierendste Wesen seiner kleinen Umwelt, Nino.
Das ist der Hund meiner Eltern, ein in Ehren ergrauter Pekinese, mit
dem Gicky ab und zu Gassi geht.
Da Christopher in der glücklichen
Lage ist, über zwei Uromas zu verfügen, mussten die
natürlich auch benannt werden. Bevor er richtig Uroma
sagen konnte, rief er die nebenan wohnende Urgroßmutter mit
Anana an, wobei dies im Wissen um ihre Schwerhörigkeit
stets in doppelter Lautstärke erfolgte.
Als nächstes
kamen Getränke an die Reihe, wobei es mir bis heute ein Rätsel
ist, wieso ausgerechnet Bier noch vor Mi
(Milch) von ihm beherrscht wurde. (Dabei stellte er sich als böse
Petze heraus. Als ihn nämlich unser Bürgermeister fragte,
was denn sein Papa trinken würde, sagte er wie aus der Pistole
geschossen Bier. Ich habe ihn daraufhin sofort enterbt.)
Als böser Lapsus stellte sich heraus, dass er anfangs
behauptete, auch die (zu der Zeit schon schwangere) Mama würde
zum Frühstück ebenfalls Bier trinken, wobei sie doch
eindeutig Kaki (Kaffee) bevorzugte.
Mit zwei Jahren
explodierte sein Wortschatz dann förmlich. Die Einweihungsfeier
im Nachbarhaus (siehe Anstrengende
Tage)
und mein Dienst im Bierstand brachten das Bierauto mit
sich, der daraus zurückbleibende Dreck verschwand im
Mülleimer. Zum Malen braucht man Papier,
und in dem Buch der Jetsons abgebildet ist ein Roboba
(Roboter). Ganz besonders süß ist auch Babibi
(Batterie).
Jeden Tag kam dann was neues dabei. Wenn Gicky an
einem Werktag aufwachte, musste er verzweifelt feststellen,
Papa nit da. Und als er Claudia ein Blümchen zum
Muttertag pflückte, kam er freudestrahlend angedackelt und
verkündete Hier hab' ich ein'.
Schwierig wurde es
bei ähnlich klingenden Worten. Mein Schwager fährt einen
Audi, was sich auch besser als unser Golf aussprechen
lässt. Als ich einmal auf der Couch lag und Gicky angerannt
kam und lauthals Audi schrie, hieß das nicht, dass
mein Schwager vorgefahren war, sondern dass ich aufstehen sollte
(mittlerweile heißt das auch au'de').
Leider ist
auch nicht alles Doll oder schlicht Boah.
Wenn er was will, heißt das Gicky auch noch oder
Gicky 'leine (alleine); mehrmals wiederholt mit
steigendem Crescendo kann das schon etwas nerven.
Es gibt auch Momente, da
waren Claudia und ich sprachlos. Das war neben dem ersten Mal, wo er „Papier“
völlig unvermittelt und aus sich heraus sagte, eines Abends im Wohnzimmer: Ich
schaute ein Fußballspiel im Fernsehen, er blätterte in einem Buch. Claudia kam
herein und fragte mich, wie es steht, worauf ich „Null Null“ antwortete. Als sie
fünfzehn Minuten dieselbe Frage nochmals
stellte, antwortete Gicky, immer noch im Buch blätternd, wie
beiläufig Noull Noull. Und von dem Moment an wussten
wir, das wir vorsichtig mit Worten umgehend mussten,
insbesondere wenn mal eine negative Bemerkung über jemanden
machte; denn unser kleiner Papagei konnte die womöglich im
unpassenden Moment wiederholen. Und Gnade uns Gott, das wir dann auch
nicht Blut und Wasser schwitzen müssen wie Bekannte von uns mit
einem etwa gleichartigen Kind, das im Hochamt anfing seinen ganzen
Wortschatz lauthals auszuplaudern. Deren Gebet wurde allerdings
erhört, weil der schlimmste Satz nicht fiel: Sie selbst hatten
dem Kind beigebracht, dass am Werktag der Papa auf der Arbeit
war (Papa Arbeit), und ein netter Verwandter, der ihren
Sprössling einmal (und wohl auch nur dieses eine Mal)
beaufsichtigen durfte, machte daraus Papa Puff.
Irgendwann,
spätestens wenn unsere Zwillinge da sind, wird sich unsere
Verwandtschaft mehr um unseren Gicky kümmern wollen, und meine
ist besonders kreativ... (23.05.99)
Copyright by Frank Schmitt