Geschichten aus dem Familienleben

Kapitel 3: Von Rolltreppen und Aufzügen

Dienstag, 16. März 1999

Wenn Papa Urlaub macht, bedeutet das, das vor allen Dingen Mama und Klein Christopher Urlaub haben und Papa daheim einiges arbeiten muss. Damit ich jedoch auch etwas davon hatte, beschloss der Familienrat, für zwei Tage an die Weinstraße zu fahren. Die Übernachtung wurde in der Jugendherberge in Neustadt/Weinstraße perfekt gemacht, übrigens eine sehr zu empfehlende preiswerte Adresse, in 1998 neu errichtet und mit Dusche/WC separat in jedem Zimmer. Etwas Toleranz und Schwerhörigkeit in den frühen Nachtstunden sollte man zwar mitbringen, weil natürlich auch Jugendliche dort übernachten und abends die Jungs zu den Mädels wandern und umgekehrt und sich in Zimmern und leider auch auf dem Gang unterhalten und lachen, aber unseren Sprössling hat das nicht gestört, und um 24 Uhr war allerorts Ruhe. Die Attraktion für Christopher in der Jugendherberge war der Aufzug, dessen Bedienung er ganz schnell beherrschte. So unternahmen wir manche Sonderfahrt, und um ein Haar wäre Christopher als Liftboy eingestellt worden.
Neustadt selbst ist ein schönes Fleckchen Erde, und Klein Christopher lernte die Sehenswürdigkeiten Hambacher Schloss und Elwetritschen-Brunnen kennen (Elwetrischten sind die pfälzischen Wolpertinger). Besonders fasziniert war er jedoch von einer Rolltreppe in einem Kaufhaus, die er an Mamas Hand hinunterfahren durfte. Das war so interessant, dass er, kaum unten angekommen, sich umdrehte und offenen Mundes zuschaute, wie die Treppe die Leute nach unten transportierte. Er schien sich zu fragen, wann die Rolltreppe denn endlich zu Ende sei und aufhören würde, sich zu bewegen. So stand er fünf Minuten da, und wir kamen ins Gespräch mit einer älteren Dame, die das mitverfolgte und sagte, dass ihr Enkel ähnlich technikbegeistert sei.
Das schönste Erlebnis für unseren Sohn war eine zirka 1,70 Meter große, metallene Halbkugel in der Fußgängerzone. Sie wurde von Jugendlichen erklommen, die kurz oben verweilten und dann wieder hinabrutschten. Das wollte unser Kleiner natürlich nachmachen, nur konnte er diesen Mount Everest nicht alleine bezwingen, also rief er seinen Scherpa. Ich setzte ihn also auf den Gipfel und ließ ihn wieder in meine Arme rutschen. Das ganze wiederholten wir einige Male, während ich zu begreifen begann, wie sich Sisyphos bei seiner Arbeit gefühlt haben musste, da ertönte neben mir ein Stimmchen: „Kannst Du mich auch hochheben?“ Ich schaute nach unten und entdeckte ein etwa drei Jahre altes Mädchen, dessen etwa sechsjähriger Bruder sich vergeblich bemühte, sie nach oben zu schieben. Ich erbarmte mich der Kleinen und setzte erst sie und dann unseren Gipfelstürmer obenauf. Während sie so dasaßen und ich darauf achtete, dass keiner hinterrücks abrutschte, dachte ich daran, dass mir diese Doppelaufsicht künftig mit unseren Zwillingen öfters bevorstand. Die kleine Prinzessin erzählte mir mittlerweile ihre Lebensgeschichte, und dass ihre Mutter kurz in die Apotheke sei. Ihr Bruder hatte es immer noch nicht geschafft, nach oben zu kommen, doch mein Angebot, auch ihn hochzuheben, lehnte er mit seinem sechsjährigen Stolz ab. Dann ließ ich erst Christopher und darauf die kleine Prinzessin in meine Arme rutschen. Unser Sohn wollte sofort wieder hoch, und auch seine kleine Partnerin schaute mich wieder flehentlich an. Im Hintergrund hörte ich an Claudias Lachen, dass sich meine Gattin über meine Aufzugstätigkeit köstlich amüsierte, da bahnte sich eine junge Frau ihren Weg zu mir und erklärte, dass sie die Mutter der Dreijährigen sei und mich nun ablösen könnte. So war ich denn nun ein Kind los, aber unser Erstgeborener bestand weiterhin auf meine Dienste, und so ließ ich ihn dann so lange rutschen, bis wir die metallene Kugel blank poliert hatten. Und wer dieses nicht glaubt, der hat auch noch keinen Elwetritsch gesehen.
(21.03.99)

Copyright by Frank Schmitt


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