Kapitel 2: Mozarts kleine
Nachtmelodien
Von
Sonntag, 7. März 1999, auf Montag, 8. März 1999
Kinder
müssen schlafen, und das mehr als Erwachsene. So sieht die
Theorie aus, doch die Wirklichkeit lehrt uns manchmal etwas
anderes.
Man muss dazu sagen, dass wir anfangs mit
unserem Kleinen keine Schlafprobleme hatten: Wenn seine Zeit gekommen
war, wurde er in sein Bettchen gelegt, drehte sich um und war gleich
eingeschlafen. Doch seit er seine ersten Zähnchen bekam, ist das
grundlegend anders: Alleine schläft er nicht mehr ein, einer von
uns muss sich mit ihm hinlegen, am besten bekommt er
gleichzeitig seine Milch, und zehn Minuten später ist er im Reich
des Sandmännchens und wird in sein Bettchen gelegt. (Komme mir
jetzt keiner mit Erziehungsfehler und Lehrbüchern, die Praxis
sieht halt anders aus.)
Doch da gibt es auch Abende, da läuft
das so ab wie der jetzt geschilderte.
Christopher hat am besagten
Sonntag keinen Mittagsschlaf gehalten, so dass er (für
seine Verhältnisse früh) um halb acht schon schlafend in
seinem Bett liegt. Claudia und ich brechen in Jubel aus über
einen ruhigen Abend, den wir mal für uns haben. Doch zwei
Stunden später ertönt erstmals die Sirene aus dem
Schlafzimmer - zweimal kurz, einmal lang, also hat er Durst. Also
schnell raufspurten und die Sirene durch Einführen von Milch
wieder abstellen. Gewöhnlich reicht das, und fünf Minuten später
ist er wieder beim Sandmännchen. Merkwürdig ist nur, dass
unser kleines Nachtgespenst seine Augen hartnäckig aufhält.
Doch wir denken uns nichts dabei und gehen nochmals ins Wohnzimmer
hinunter.
Keine Stunde später gibt es den nächsten
Nachtalarm. Also nochmals hoch, diesmal wird Saft eingefüllt,
aber die Augen sind immer noch offen. Mittlerweile sind wir auch müde
und legen uns ebenfalls hin. Einschlafen können wir jedoch nicht
so recht, weil aus dem Kinderbettchen permanent Sauggeräusche
ertönen und ab und zu ein protestierender Laut.
Weitere fünfzehn
Minuten später erbarme ich mich auf Drängen von Claudia,
nehme unseren Prinz aus seinem Bettchen und lege ihn zwischen uns.
(Komme mir jetzt wieder keiner mit Erziehungsfehler.) So haben wir
das Übel besser unter Kontrolle, denken wir, was auch meistens
der Fall ist.
Doch heute ist alles gegen uns. Ich hätte es
ihm schon an seinem triumphierenden Augenglitzern ansehen sollen, als
ich ihn umbettete, denn seine Hochwohlgeboren hatten beschlossen, dass
er jetzt genug geruht hätte. So begann er zu Summen. Das dauerte
eine ganze Weile, und fast wäre ich darüber eingeschlafen,
da passierte das, was einem in jedem Konzertbesuch vom Einschlafen
abhält: Das begeisterte Publikum klatscht. Nur mit dem
Unterschied, dass bei uns dieses Publikum nur aus einer Person
bestand, und zwar aus dem Maestro selbst. Doch einen wahren Künstler
stört das nicht. Enthusiastisch wurde jedem Stück
applaudiert, und angefeuert durch diese Beifallstürme führte
unser Solist sein ganzes musikalisches Repertoire auf. Nachdem ich
mir von unserem Mozart sämtliche kleinen Nachtmusiken wieder und
wieder angehört hatte und er immer noch kein Ende fand, beschloss
ich um zwei Uhr morgens in eine musikfreie Zone umzuziehen. Dass
ich damit Claudia ihrem Schicksal überließ, sei mir bitte
verziehen, jedoch erwartete mich ja in wenigen Stunden ein neuer
Arbeitstag.
So waren mir wenigstens noch vier Stunden Schlaf
vergönnt, mein Schlafmangel am nächsten Tag war mir
allerdings anzusehen, und die Kollegen hatten Verständnis dafür,
dass ich am Nachmittag etwas früher freimachte, um mich zu
regenerieren. Von Claudia erfuhr ich, dass unser Maestro in der
Nacht noch weiter musiziert hatte, zweimal sogar aus dem Schlafzimmer
gegangen war und erst gegen halb sechs eingeschlafen war. Das
abendfüllende Konzert forderte seinen Tribut, so daß er
erst um halb zwölf wieder wach wurde, und ich begann schon das
Schlimmste für die nächste Nacht zu befürchten.
Doch
meine umbarmherzige Claudia schleppte ihn nachmittags in die
Krabbelgruppe, wo er sich austoben konnte, und so war die
Konzerthalle für diesen Montagabend zum Glück geschlossen
und unser Solist schlief von neun Uhr abends die ganze Nacht durch.
(14.03.99)
Copyright by Frank Schmitt