Kapitel 1: Tischmanieren
Mittwoch,
3. März 1999, im heimischen Wohnzimmer
1. Korrektes Sitzen
Christopher sitzt am Wohnzimmertisch in seinem kleinen Stühlchen
und soll eine kleine Mahlzeit bekommen, die ich in der Küche
mache. Ein verdächtiges Geräusch veranlasst mich,
einen Blick ins Wohnzimmer zu werfen und - richtig vermutet. Unserem
Sprössling ist es zu langweilig geworden, seine Füße
drücken gegen den Wohnzimmertisch und bringen Stühlchen und
Insasse in bedrohliche Rückenlage. Ich lasse alles stehen und
liegen, spurte los und muss mit ansehen, wie die Füße
unseres Kleinen langsam Richtung Augenhöhe gelangen.
Da
hilft wohl nichts anderes, einem American Footballer beim
entscheidenden Touchdown gleich werfe ich mich nach vorne, um
Klein-Christopher noch aufzufangen. Doch irgendwie scheint das Bein
eines Gegenspielers im Wege gewesen zu sein (um genauer zu sein, es
war der Teppich), ich stürze vorwärts zu Boden und kriege
aber Gott sei Dank noch eine Hand zwischen Boden und
runterplumpsendem Köpfchen.
Das Fazit der Geschichte: Blaue
Flecken bei mir und ein misslungener pädagogischer Effekt
beim Kleinen, weil er die Gefahren beim Stühlewippen nicht bei
sich, sondern bei den Erwachsenen sieht.
2. Der Mundschenk
Keine Stunde
später bin ich mal wieder kurz in der Küche und Christopher
im Wohnzimmer. Auf dem Wohnzimmertisch stehen ein Glas und eine
Fantaflasche, und Christopher hat sich entschieden, Durst zu haben.
Doch anstelle mit einem Äh oder Die sich
deutlich auszudrücken, dass er Durst hat, ergreift er
selbst die Initiative. (Selbst ist der Mann, und beim
Survivaltraining lernt man ja auch, dass man sich selbst mit
Nahrung versorgen muss).
Ungläubig höre ich in der
Küche das Geräusch einer Flasche, die aufgeschraubt wird.
Ich schaue ins Wohnzimmer rein und sehe Christopher, wie er die
Anderthalb-Liter-Flasche herkulesgleich anhebt und sie in das Glas
senkt.
Wie er das Getränk so einschenkt, weckt in mir
unwillkürlich eine Assoziation mit dem Butler James aus dem
Kult-Sketch Dinner for One“, allerdings mit dem angeheiterten James aus
der dritten Runde des Trinkgelages.
Aber nein,
Christopher bekommt den Anfang besser hin als Butler James,
allerdings nur den Anfang. Die Assoziation hat mich wertvolle
Sekundenbruchteile gekostet, und ehe ich ihn erreicht habe, ist der
Großteil des Inhalts der Flasche in das Glas gewandert und, da
in unserem Wohnzimmer leider Gottes auch die Gesetze der Schwerkraft
gelten und man Flüssigkeit nicht über den Glasrand stapeln
kann, auch neben das Glas. Die Tischplatte gleicht einem Spiegelbild
des Laacher Sees.
Meine Belehrung hinsichtlich Anforderungen an
einen Mundschenk werden von Christopher mit einem treuherzigen Blick
quittiert. Gedanklich streiche ich den Beruf Getränkekellner aus
dem möglichen Berufsrepertoire von Christopher und wende mich
meiner nebenberuflichen Tätigkeit zu, dem Putzen oder besser
Aufputzen.
Anderthalb Stunden später ist Claudia wieder da,
und damit erfolgt endlich der Wachwechsel über unser kleines
Tischgespenst. (07.03.99)
Copyright by Frank Schmitt
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